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Der Hinduismus in der Praxis

Trotz einer großen Vielfalt innerhalb ihrer Religion teilen die meisten Hindus einen Grundbestand an Vorstellungen und anerkennen traditionelle Wege zur Erkenntnis der letztgültigen Wirklichkeit. Auch würden alle die Bedeutung des Bemühens um die Erlangung von Reinheit und die Vermeidung von Verunreinigung sowie der regelmäßigen Ausübung des Kults (Pudscha) zu Hause wie im Tempel unterstreichen.

Die meisten Hindus anerkennen die Autorität der alten Schriften, als Veden bekannt, die gesellschaftliche Viergliederung (Varna), göttlich gutgeheißen im RigVeda, und die Berufsgruppen - Kasten oder Dschatis -, die sich erst später bildeten. Sie glauben, daß ihr Leben von Samsara regiert wird, einem Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt, und daß die Seele (Atman) wiedergeboren wird, bis zu ihrer Erlösung (Mokscha). Die in den Veden beschriebene Rita-Vorstellung - die Kraft, die dem Weltall Ordnung und Rhythmus gibt, indem sie Geburt, Wachstum, Verfall und Erneuerung kontrolliert - wird in späteren Schriften zu Brahman. Dies ist die spirituelle Ausstrahlung der Höchsten Persönlichkeit Gottes.

Das höchste Ziel des Hindu ist es, Mokscha, die persönliche Befreiung vom Samsara-Kreislauf, und Prema, die wahre Liebe zu Gott, zu erlangen. Dies kann durch Dharma erreicht werden, das sich in diesem Zusammenhang am besten als Befolgung eines heiligen Gesetzes beschreiben läßt, das die Ausführung bestimmter Rituale (Gebete, Kult) und moralisches Verhalten sich selbst, der Familie und der Gesellschaft gegenüber erfordert. Darüber hinaus erkennen Hindus eine Anzahl bestimmter traditioneller Wege zur Befreiung an. Es gibt grundsätzlich vier: den Weg der Hingabe, des Handelns, der Erkenntnis und der Weg des mystischen Yoga.

a) Bhakti-Yoga: Man stellt alle Tätigkeiten des Körpers, Geistes etc. in den Dienst Gottes. Der Weg der Hingabe (Bhakti) erfordert eigentlich keine fachmännische Hilfe eines Priesters oder Gurus (geistlicher Lehrer) und ist die einfachste Weise, die Einheit der individuellen Seele (Atman) mit dem allumfassenden Geist (Brahman) zu erfahren (Ein guter spiritueller Meister kann allerdings helfen, den Weg zu gehen.). Er schließt den Glauben und die völlige Auslieferung an einen persönlichen Gott oder eine persönliche Göttin sowie bedingungsloses Vertrauen in Brahman ein. Das letzte Ziel ist es, durch das Eingehen des Atman in das Brahman den Kreislauf des Samsara zu durchbrechen und ewig in Gottes Gegenwart zu sein.

b) Karma-Yoga: Man handelt in dieser Welt pflichtgemäß, verzichtet aber auf einen Teil des Lohnes, den man für transzendentale Zwecke spendet.Der Weg des Handelns (Karma) fordert von den Hindus, sich selbstlos Gedanken zu machen und zu handeln, damit die guten wie die bösen Folgen das Atman nicht an weitere Leben in verschiedenen anderen Körpern fesseln. Der einfachste Weg, dies zu erreichen, besteht darin, einen Beruf zu ergreifen, der sowohl der Gesellschaft als auch dem einzelnen nützt.

c) jnana-Yoga/Dschinana: Der Yoga des Wissens. Man studiert heilige Schriften, um auf dem Pfad der Selbsterkenntnis voranzukommen. Der "Weg der Erkenntnis" muß von einem Guru erlernt werden, der aus den heiligen Schriften das Wesen Brahmans, Atmans und des Universums sowie den Platz der Menschen darin erklären kann. Ein klares Verstehen dieses alten Wissens fuhrt zur Sprengung der an die materielle Welt bindenden Fesseln und zur Erlangung der Befreiung.

d) Mystischer Yoga: Man übt sich in körperlichen und geistigen Disziplinen (Körperstellungen - Astanga-Yoga) und versucht mit Atemübungen etc., eine friedvolle Situation für sich zu erreichen, um letztendlich Glückseligkeit in der Verbindung zum Absoluten zu finden.
Asketen und anderen als Hilfsmittel zu geistlicher Besinnung werden verwendet. Yoga ist auch im Westen wohlbekannt, vor allem Hatha-Yoga, das danach trachtet, durch acht Stadien körperlicher Übungen den höheren Bewußtseinszustand Samadi zu erreichen, und »königliches« Radscha-Yoga, das Körperhaltung, Atemkontrolle, Konzentration und Meditation betont.

Auf einer einfacheren Ebene messen die Hindus der Reinheit und der Verunreinigung große Bedeutung bei - sowohl körperliche Sauberkeit als auch geistliches Wohlergehen betreffend. Dies beeinflußt den Kult zu Hause und im Tempel ebenso wie die soziale Stellung eines Hindu, die von seinem Beruf und dem Grad, in dem er mit verunreinigenden Stoffen wie Blut und Abfall zu tun hat, abhängt. Es beeinflußt auch Nahrungszubereitung und -verzehr. Vegetarisches Essen ist bei vielen Hindus beliebt, weil es frei von als verunreinigend betrachtetem Blut ist, während die Verehrung der Kuh demselben Impuls entspringt, gepaart mit dem wirtschaftlichen Nutzen des Tiers.

Für Millionen Hindus auf der ganzen Welt ist das im Westen als Kastenwesen bekannte System gesellschaftlicher Gliederung das wichtigste. Die Kaste beeinflußt den beruflichen Weg, die Wahl des Ehepartners, die Nahrung und viele andere Belange. Das Wort »Kaste« kommt vom portugiesischen casta (»Rasse«, »Art«), aber Hindus anerkennen vier große gesellschaftliche Kategorien, die Varnas (»Farben«).

Die vier Varnas leiten sich von der Kultur der alten arischen Einwanderer Indiens und ihren vedischen ab. In absteigender Rangfolge: Brahmanen (Priester, Geistesarbeiter), Ksatriyas (Herrscher, Verwalter, Krieger), Vaisyas (Bauern, Kaufleute), Sudras (Handwerker). Diese Kategorien beruhten anfangs auf den Begabungen und Funktionen der Menschen und waren nicht die strengen Gliederungen, die sie später wurden - und bis heute sind.

Später, wahrscheinlich um 1000 v. Chr., wurde dieser vierfachen Gliederung eine fünfte Gruppe hinzugefügt, jedoch nicht in ihren Aufbau eingeschlossen. Diese Gruppe bestand ursprünglich aus den vorarischen Einwohnern Indiens, die von ihren arischen Herren gezwungen wurden, die »unreinen« Tätigkeiten innerhalb der Gesellschaft auszuüben. Dazu gehörten Aufgaben -wie das Gerben von Leder und die Entfernung toter Tiere aus den Dörfern.

Wegen ihrer schmutzigen und geistlich verunreinigenden Arbeit lebten diese Nichtarier in speziellen Bereichen der Dörfer, entfernt von denen mit »reinen« Tätigkeiten. Selbst heute gibt es diese Form der Absonderung. Früher wurde diese fünfte Gruppe als »Unberührbare« bezeichnet; im 20. Jahrhundert nannte der große Hindureformer Mahatma Gandhi sie Harijans (»Kinder Gottes«), doch ziehen sie es heute vor, sich als Dalit (»Bedrückte«) zu bezeichnen.

Ab etwa 300 v. Chr. entwickelten sich im Rahmen der Varnas Berufsgruppen (Dschatis). Mit der Zeit wurden diese Dschatis erblich und exklusiv und brachten unverwechselbare Bräuche und strenge Regeln hervor, die die Heirat zwischen und das Essen mit Angehörigen anderer Kasten verboten. Heute gibt es Tausende Dschatis.

Im modernen Indien beruht die Handhabung des Kastenwesens hauptsächlich auf der Frage ritueller Reinheit und Verunreinigung. Hindus glauben, daß sie von niedrigeren Kasten verunreinigt werden können - durch Nähe, durch von einem Mitglied einer niedrigeren Kaste gekochtes Essen oder durch das Trinken aus demselben Brunnen. Hindus einer niedrigen Kaste können jedoch nicht »reiner« werden, indem sie mit den über ihnen Stehenden verkehren.

Weil heute alle Hindus in Indien ein Recht auf Ausbildung haben, können sie Fähigkeiten erlernen, die von den mit ihrer Kaste verbundenen abweichen, welche dadurch bei der Arbeitsvermittlung weit unwichtiger geworden ist. In den großen Städten Indiens sind die das gemeinsame Essen und die soziale Vermischung betreffenden Kastenschranken zusammengebrochen, die Diskriminierung aufgrund von Unberührbarkeit ist seit 1950 illegal, und die Dalits haben durch »reservierte« Ausbildungs- und Arbeitsplätze bessere Möglichkeiten erhalten. Doch trotz der offiziellen Versuche, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen, bleibt die Kaste wichtig, besonders bezüglich der Ehe und auf dem Land, wo die Diskriminierung immer noch andauert.

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